Akute Pankreatitis - Klinik, Pathogenese und Diagnostik
Einleitung
Bei der akuten Pankreatitis handelt es sich um eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse, die meist keine infektiöse Ursache hat, die in den meisten Fällen durch Gallensteine oder übermäßigen Alkoholgenuß verursacht ist, und die heute noch, in Abhängigkeit vom Schweregrad, in 1-15% der Fälle tödlich verläuft. Die Diagnose der akuten Pankreatitis basiert seit 1929 auf zwei einfachen Kriterien: einer charakteristischen klinischen Syptomatik und einer deutlich erhöhten Amylaseaktivität im Serum. Weit schwieriger ist die korrekte Einschätzung des Schweregrades der Erkrankung oder die Beurteilung der damit assoziierten Komplikationen.
Bis heute steht keine spezifische medikamentöse Therapie der akuten Pankreatitis zur Verfügung. Alle bisherigen Versuche, in kontrollierten Studien eine Besserung durch Hemmung der Pankreassekretion oder durch Hemmung der Proteasenaktivität im Pankreas zu erreichen, müssen als erfolglos angesehen werden. Die Einführung der supportiven intensivmedizinischen Therapie alleine hat jedoch in den letzten zwanzig Jahren zu einer drastischen Senkung der Letalität bei der akut-nekrotisierenden Pankreatitis geführt. Für die schwere Gallenstein-induzierte Pankreatitis hat sich außerdem eine rasche endoskopische Intervention zur Entfernung von eingeklemmten Steinen und zur Wiederherstellung der Pankreassekretion und des Gallenabflusses bewährt. Im folgenden Kapitel werden zunächst die Grundzüge der Diagnostik, der Einschätzung des Schweregrades und die Differentialdiagnosen der akuten Pankreatitis behandelt. Im weiteren wird die standardisierte Basistherapie der akuten Pankreatitis dargestellt, die bei praktisch allen Patienten mit dieser Erkrankung zur Anwendung kommt. Bei den schweren Verlaufsformen der akuten Pankreatitis treten charakteristische Organkomplikationen auf. Die spezifischen Maßnahmen und Behandlungsindikationen bei diesen Komplikationen werden im letzten Teil dieses Abschnittes aufgeführt. Neben gesicherten Therapieformen werden auch als unwirksam belegte und noch in klinischer Erprobung befindliche Behandlungsmethoden diskutiert.
Ätiologie und Pathogenese
Die akute Pankreatitis ist eine relativ häufige gastroenterologische Erkrankung. Die Inzidenz der Neuerkrankungen liegt bei 10-46/100.000 im Jahr, und die Krankheit betrifft somit ca. 2% des klinischen Krankengutes. Bei der unkomplizierten ödematösen Pankreatitis liegt die Mortalität unter 1%, während die komplizierten, nekrotisienden Verlaufsformen mit einer Sterblichkeit von 10-24% belastet sind. 80% der Patienten betreiben entweder einen Alkoholabusus oder leiden an Gallensteinen. Über die pathophysiologischen Zusammenhänge zwischen Alkohol und Pankreatitis ist bis heute wenig bekannt und gesichert. Die zur Zeit diskutierten Hypothesen hierzu werden im Abschnitt zur chronischen Pankreatitis diskutiert. Anders als bei der Entwicklung einer äthyltoxischen Leberzirrhose ist die Menge des täglich konsumierten Alkohols und die Dauer des Alkoholabusus bis zum Auftreten der Pankreatitis sehr viel variabler und offenbar auch von geographischen Faktoren abhängig. Einige Untersucher vertreten die Hypothese, daß es sich bei einer alkoholinduzierten Pankreatitis praktisch immer um einen akuten Schub einer chronischen Erkrankung handelt und daß ein einmaliger Alkoholexzess bei nicht vorgeschädigtem Organ keine akute Pankreatitis zur Folge hat.
Über die Mechanismen, die bei der Auslösung der akuten Pankreatitis durch Gallensteine eine Rolle spielen, bestand lange ebenfalls Unsicherheit. Im Jahre 1901 veröffentlichte der Pathologe Eugene Opie zwei sich widersprechende Hypothesen zur Pathogenese der biliären Pankreatitis. Die zweite, sogenannte "common channel theory" besagt, daß hinter einem an der Papille eingeklemmten Gallenstein eine Verbindung zwischen dem Pankreasgang und dem Ductus choledochus entsteht. Durch diesen sogenannten "common channel" könnte Galle retrograd in das Pankreas fließen und dort durch seine detergente Wirkung die Pankreatitis auslösen. Wir wissen heute durch eine ganze Reihe experimenteller und klinischer Beobachtungen, daß ein Reflux von Galle ins Pankreas für die Auslösung der Pankreatitis weder erforderlich noch wahrscheinlich ist.
Opie's frühere und weniger bekannte Hypothese, die besagt, daß ein Abflußhindernis der Pankreassekretion die Pankreatitis auslöst, ist nach heutigem Kenntnisstand die am ehesten zutreffende Erklärung für die Pathogenese der biliären Pankreatitis. Bis vor kurzem wurden bei etwa 15-20% der Patienten mit akuter Pankreatitis keine auslösende Ursache gefunden und diese Erkrankungsfälle demzufolge als idiopathisch bezeichnet. Zwei klinische Studien haben jetzt dokumentiert, daß sich in 70% dieser Fälle kleine Gallensteine oder Sludge der Gallenblase nachweisen lassen. Vermutlich lag bei diesen Patienten also eine biliäre Pankreatitis vor. Die Tatsache, daß eine Sanierung der Gallenwege die Rezidivhäufigkeit der Pankreatitis signifikant reduziert, spricht ebenfalls für eine biliäre Genese im Zusammenhang mit der bisher eher unterschätzten Mikrolithiasis.
Neben Alkohol und Gallensteinen kommen eine ganze Reihe von metabolischen, infektiösen und auch medikamentösen Ursachen für die Auslösung einer akuten Pankreatitis in Frage. Diese Ursachen sind zum Teil von ungesicherter klinischer Bedeutung. Häufig ließ sich in den berichteten Fällen keine andere Ursache finden, und bei den vermuteten medikamentösen Auslösern konnte eine Reexposition aus ethischen Gründen nicht erfolgen. Die wichtigsten der metabolischen, infektiösen und medikamentösen Auslöser der Pankreatitis sind in den Tabellen 1 und 2 zusammengefaßt. Im klinischen Alltag sollte nicht vergessen werden, daß diese möglichen Auslöser der Pankreatitis statistisch von äußerster Seltenheit sind.
Klinik der akuten Pankreatitis
Die ganz überwiegende Zahl der Patienten klagt bei der Aufnahme über Übelkeit, Erbrechen und schwerste abdominelle Schmerzen. Die Schmerzen sind in etwa der Hälfte der Fälle im Epigastrium lokalisiert, wobei eine Ausstrahlung in den Rücken eher die Regel als die Ausnahme ist. Bei der klinischen Untersuchung lassen sich die Schmerzen in 20% auch im linken phrenico-costalen Winkel (Mallet-Guy'sches Zeichen) oder am Rücken im linken costovertebralen Winkel (Mayo-Robson'sches Zeichen) lokalisieren. Das Abdomen ist palpatorisch meist nicht hart sondern von gummiartiger Konsistenz. Zeichen der Peritonitis bei Aufnahme sind selten, da sich der Beginn der Erkrankung vollständig im Retroperitoneum abspielt. Dagegen kommt es oft schon in der Frühphase zu einer reflektorischen Paralyse einzelner Darmabschnitte oder sogar zum Vollbild des paralytischen Ileus (Abb. 3). Ein klinisch frühes (oft vor Änderung der Darmgeräusche) Zeichen hierfür ist das geblähte Abdomen der Patienten und der typanische Klopfschall über dem Colon transversum (Goblet-Guyot'sches Zeichen). Neben der sorgfältigen klinischen Untersuchung des Abdomen, die im Rahmen der akuten Pankreatitis diagnoseweisende Befunde liefern kann, muß auf die Bedeutung einer kompletten körperlichen Untersuchung für die Beurteilung von Komplikationen und möglichen Differentialdiagnosen hingewiesen werden. Schwierige Differentialdiagnosen wie der Myokardinfarkt (EKG) und Mesenterialinfarkt (rektale Untersuchung!) müssen berücksichtigt werden, und zum Ausschluß pulmonaler Infiltrate oder des bei der Pankreatitis häufig linksseitigen Pleuraergusses soll auch immer eine sorgfältige Untersuchung des Thorax erfolgen.
Diagnostik und Differentialdiagnose
Pankreasenzyme
Die Möglichkeit, weitgehend pankreasspezifische Verdauungsenzyme zunächst noch als Diastase und seit über 60 Jahren auch zunehmend substratspezifisch im Serum bestimmen zu können, hat die Diagnostik der Pankreatitis auf eine heute noch gültige Grundlage gestellt. Etwa 80-90% aller Erkrankungsfälle lassen sich, bei Vorliegen klinischer Symptome, durch Bestimmung der Serumamylase allein eindeutig diagnostizieren. Meist wird eine Erhöhung auf das dreifache der oberen Norm als Grenzwert angenommen (z.B. 360 U/l). Die zusätzliche Bestimmung der pankreasspezifischen Isoamylase (beim Gesunden entstammen 2/3 der Serumamylase den Speicheldrüsen und nach jeder oralen Endoskopie steigt dieser Anteil) oder die Bestimmung der Urinamylase bieten, von wenigen Situationen abgesehen, keine Vorteile. Die Möglichkeit, Urinamylase mittels Teststreifen semiquantitativ zu bestimmen, wo kein Notfallabor zur Verfügung steht, bildet hierbei vielleicht eine Ausnahme.
Zu beachten sind falsch niedrige Serumamylaseaktivitäten bei Hyperlipidämie und falsch positive Messungen bei Niereninsuffizienz oder Makroamylasämie. Die deutlich pankreasspezifischere Serumlipase (nur geringe Mengen Lipase werden im Magen synthetisiert) scheint die Sensitivität der Diagnostik noch um einige Prozent zu erhöhen. Allerdings ist die Zuverlässigkeit der Lipasebestimmung sehr vom jeweiligen Testverfahren abhängig, aufwendiger und teurer. Andere Pankreasenzyme wie zum Beispiel Trypsin, Chymotrypsin, Elastase und Phospholipase A2 haben sich in der klinischen Routine nicht durchgesetzt.
Es gibt dokumentierte Fälle einer akuten Pankreatitis, bei denen eine normale oder nur gering erhöhte Serumamylase gemessen wurde. Hierbei handelt es sich meist um Patienten mit einer langjährigen chronischen Pankreatitis, bei denen im akuten Schub, trotz des Vorliegens von Nekrosen, keine Amylase mehr aus dem Pankreas freigesetzt wird. In einzelnen Fällen mit normaler Serumamylase kann auch eine vollständige Zerstörung des Pankreas bei schwerer, akuter Nekrose (Pankreasapoplex) vorliegen, wenn die Enzymbestimmung erst einige Tage nach dem Beginn der Erkrankung erfolgt. In dieser Situation ist die deutlich längere Serumhalbwertszeit der Lipase ein diagnostischer Vorteil. Patienten mit dieser Laborkonstellation sind jedoch außerordentlich selten. Normale Serumenzyme schließen bei passender klinischer Symptomatik eine akute Pankreatitis zwar nicht vollständig aus, machen sie jedoch extrem unwahrscheinlich, während eine signifikante Erhöhung von Amylase oder Lipase die Diagnose der akuten Pankreatitis hochwahrscheinlich werden läßt.