Embryonale Entwicklungsstörungen des Pancreas
Grundlagen
Während der Embyonalentwicklung entsteht das Pankreas aus zwei verschiedenen Ausziehungen des Urdarmes, die sich in der 4. Gestationswoche als ventrale und dorsale Pankreasanlage bilden. Die ventrale Anlage rotiert dann um das Duodenum und verschmilzt mit dem dorsalen Teil. Die dorsale Anlage bildet den Pankreasnebengang (Ductus Santorini), den hinteren Pankreaskopf sowie den Corpus und Schwanz des Organs. Die ventrale Anlage bildet den vorderen Anteil des Pankreaskopfes mit dem Hauptgang (Ductus Wirsungianus) bis zur Einmündung in den Ductus Santorini. Der Hauptgang in Corpus und Schwanz stellt dagegen eine Verlängerung des Ductus Santorini dar. Eine Reihe von Ganganomalien und Fehlbildungen des Pankreas gehen auf embryonale Fusionsstörungen der beiden Anlagen zurück.
Pankreas anulare
Das Pankreas anulare oder Ringpankreas entsteht durch eine fehlende oder unvollständige Verschmelzung der ventralen und dorsalen Pankreasanlagen. Dies führt zu einer ringförmigen Lage von Pankreasgewebe um das Duodenum (Abb. 1) und damit, meist schon in der Zeit kurz nach der Geburt, zu einer Einengung des Darmlumens. In der Folge kommt es zur prästenotischen Aufweitung der weiter oral gelegenen Darmabschnitte, zur Entzündung und zu Ulzerationen der Dünndarmschleimhaut im stenosierten Bereich und klinisch zum Erbrechen von Nahrung und Gedeihstörungen beim Neugeborenen.
Diagnostik und Differentialdiagnose <//span>
Beim Neugeborenen müssen Erbrechen und Gedeihstörungen an ein Pankreas anulare denken lassen. Differentialdiagnostisch kommen andere Fehlbildungen und Atresien im oberen Gastrointestinaltrakt in Frage. Beim Erwachsenen kann entweder die Einengung des Duodenums oder die Abflußbehinderung des Pankreassekrets zu Symptomen führen. Somit kann das Pankreas anulare klinisch entweder wie eine Raumforderung im Pankreaskopfbereich oder wie eine Pankreatitis in Erscheinung treten. Die Diagnose kann, in Einzelfällen, mittels abdominellem Ultraschall oder CT gestellt werden. Beweisend für die Schlußstörung der Pankreasgansysteme ist die endoskopisch-retrograde Pankreatikographie (ERP).
Therapie
Verursacht das Pankreas anulare die Symptome einer Duodenalstenose, dann ist die Therapie der Wahl die chirurgische Beseitigung der ringförmigen Einengung des Duodenums durch das Pankreasgewebe. Findet sich das Pankreas anulare beim Erwachsenen als Zufallsbefund und ist die exokrine Pankreasfunktion nicht beeinträchtigt, dann ist keine Therapie erforderlich.
Pankreas divisum
Das Pankreas divisum entsteht ebenfalls durch eine Fusionsstörung der beiden Pankreasanlagen während der Embryogenese. Dabei ist zwar die ventrale Anlage regelrecht um das Duodenum rotiert, die beiden Gangsysteme sind aber nicht miteinender verschmolzen. Die Folge ist deshalb nicht eine Einengung des Dünndarms sondern eine getrennte Drainage des ventralen Pankreaskopfes über den kurzen Ductus Wirsungianus und die Hauptpapille und des dorsalen Pankreaskopfes sowie des Corpus und Schwanzes über den Ductus Santorini und die Nebenpapille. Diese Fehlbildung ist relativ häufig und kommt im Sektionsgut in 3-5% aller Fälle vor. Ihre klinische Bedeutung ist bis heute umstritten, und es ist nicht gesichert, ob das Vorliegen eines Pankreas divisum ein erhöhtes Risiko für die Entstehung der akuten oder chronischen Pankreatitis darstellt.
Diagnostik und Differentialdiagnose
Zwar finden sich gelegentlich schon im abdominellen Ultraschall Hinweise auf ein Pankreas divisum, jedoch basiert die Diagnose entscheidend auf der ERCP. Bei der retrograden Darstellung der Pankreasgangsysteme lassen sich nicht nur die getrennten Gangsysteme darstellen und damit das Vorliegen eines Pankreas divisum beweisen, auch die Vollständigkeit der Schlußstörung (manchmal ist die Verschmelzung inkomplett) läßt sich abschätzen.
Therapie
In den allermeisten Fällen handelt es sich beim Pankreas divisum um eine harmlose Formvariante, die keine Therapie erfordert. In seltenen Fällen ist der Abfluß des Sekretes aus Pankreasschwanz, Corpus und dorsalem Kopf durch den schlanken Ductus Santorini und die kleinere Nebenpapille unzureichend, so daß eine relative Stenose vorliegt. Dies kann zu rezidivierenden abdominellen Beschwerden nach opulenten Mahlzeiten führen und klinisch wie eine Pankreatitis imponieren. In solchen Fällen wurde gelegentlich, und mit wechselndem Erfolg, versucht die Behinderung des Abflußes über den Nebengang chirurgisch zu erweitern. In jüngster Zeit wurde wiederholt die Nebenpapille endoskopisch papillotomiert und dann der Nebengang durch die zeitweilige Einlage eines Kunststoffstents erweitert. Diese interventinellen Therapieverfahren sollten allerdings wenigen, ausgewählten Einzelfällen vorbehalten bleiben und sind bei den meisten Patienten nicht indiziert.
Ektopes Pankreas
Im Sektionsgut finden sich bei 1-3% der Menschen kleine versprengte Inseln von Pankreasgewebe, die keine direkte Verbindung mehr mit dem Organ selbst haben. Diese ektopen Pankreata finden sich in 90% entweder im Magen, Duodenum oder Jejunum, in seltenen Fällen auch in einem Meckelschen Divertikel oder in der Gallenblase. Auch extraintestinale Manifestationen wurden beschrieben. Histologisch kann sich ein ektopes Pankreas aus allen im Pankreas vorkommenden Zellen zusammensetzen. So gibt es überwiegend aus Azinuszellen, aus Gangzellen oder aus endokrinen Zellen bestehende ektope Pankreata. Nur sehr selten verursachen dieses meist weniger als 1 cm großen, in der Submukosa liegenden, benigen Pankreasinseln Symptome. Sie entarten fast nie, aber gelegentlich kann die darüber liegende Schleimhaut ulzerieren oder das ektope Pankreas wie eine Raumforderung die Passage von Nahrung durch den Pylorus oder von Galle durch die Gallenwege behindern. Nur in diesen Fällen ist eine chirurgische Entfernung erforderlich.
Pankreasaplasie und Agenesie
Das völlige Fehlen einer Pankreasanlage während der Embryonalentwicklung ist außerordentlich selten. Sie ist es meist mit multiplen anderen Fehlbildungen kombiniert wie zum Beispiel Situs inversus, Herzfehlern und fehlender Anlage des Gehirns oder der Gallenwege. Das Pankreas wird dann durch Binde-, Fett-, und Nervengewebe ersetzt. Auch ein isoliertes Fehlen entweder der dorsalen oder ventralen Pankreasanlage wurden beschrieben.
Seltene Anomalien der Bauchspeicheldrüse
Im Zusammenhang mit der Trisomie-D kann es zum Überwachsen des Pankreasschwanzes durch die Milz kommen. Beim seltenen Wiedemann-Beckwith Syndrom liegt eine kongenitale Hyperplasie sowohl des exokrinen, als auch des endokrinen Pankreas vor. Das dadurch stark hyperplastische Organ imponiert dann wie ein großer Pankreastumor. Während die Bildung von Pseudozysten eine häufige Begleiterscheinung der akuten und chronischen Pankreatitis ist sind echte Zysten (Auskleidung mit Epithel) im Pankreas selten. Zum einen kommen sie in isolierter, kongenitaler Form vor, können aber auch mit Zysten in anderen Organen kombiniert sein (polyzystische Nierenerkrankung). Eine Sonderform bilden die Pankreaszysten bei der von-Hippel-Lindau'schen Erkrankung, einem genetischen Defekt auf Chromosom 3p, der mit der Bildung von multiplen Angiomen, Angioblastomen und Phäochromozytomen einhergeht. Die meisten Pankreaszysten verursachen keine Symptome. Gelegentlich werden sie so groß, das sie wie eine Raumforderung behandelt werden müssen. Bei allen hier aufgeführten Fehlbildungen handelt es sich um klinische Raritäten.
Autor:
Prof. Dr. med. Markus M. Lerch
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin A
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