Sven B. trägt seit November 2017 seine erste funktionelle TMR-Prothese und pünktlich zu Weihnachten konnte er diese, ausgestattet mit vier Ansteuerungsmöglichkeiten, in der Häuslichkeit nutzen.
Der Unfall im Januar 2017 veränderte das Leben des 35-jährigen Greifswalders Sven B. und seiner Familie komplett. Nach einem Autounfall musste ihm sein ganzer linker Arm amputiert werden.
Dieser zweite Beitrag (von geplanten drei) soll darstellen, wie umfangreich der Weg für Sven B. war bis er die ersten Signale nach seiner TMR-OP aus einer gezielten Muskelkontraktion in ein funktionelles Signal umsetzen konnte. Der erste Teil ist auch bei unseren Patientengeschichten zu finden.
Seit der TMR-Operation am 28. Juli 2017 an der Unimedizin in Göttingen wurde Sven B. regelmäßig ergo- und physiotherapeutisch begleitet. Er war ständiger Gast im Gesundheitszentrum Greifswald, um den Fortschritt der Wundheilung zu dokumentieren. In dieser Zeit trug Sven B. seinen speziell angefertigten Interims-Schaft mit einem individuell gefertigten Silikonschaft, der den Zweck hatte, ihn an das spätere Gewicht der TMR-Prothese zu gewöhnen, sein Stumpfvolumen zu festigen und auch evtl. Haltungsschäden vorzubeugen.
Es gab in diesem Zeitraum mehrere Kontrolltermine in Göttingen. Frau Dr. Ernst (Unimedizin Göttingen), das OT Team der oberen Extremität der Firma Otto Bock und Hans-Magnus Holzfuß (Gesundheitszentrum Greifswald) hielten engen Kontakt und sprachen alle notwendigen Schritte und Maßnahmen ab.
In Duderstadt, dem Headquarter der Firma Otto Bock, trafen sich in der ersten Novemberwoche 2017 Sven B., Hans-Magnus Holzfuß vom Gesundheitszentrum, Erik Andresen, der dortigen Experte für die Prothetik der oberen Extremität, und die Ergotherapeutin Daniela Wüstefeld, um die Versorgung zu beginnen.
Zuerst wurden die Signalpunkte (Hotspots) anhand der operierten Nervenmatrix gesucht. Die Nervenmatrix ist die Neuordnung der Nerven nach dem Nerventransfer und stellt die Funktion, den transferierten Nerv, den Zielmuskel und die Zielregion dar, die während der Operation festgelegt wurden. Die Hotspots sind die Empfängerareale für die Signalgebung. Nach Markierung dieser Signalpunkte wurden die Elektroden zur Steuerung der Prothese aufgesetzt. Nun hieß es für Sven B. diesen Punkten eine Phantombewegung aus dem Gedächtnis zuzuordnen. Schnell waren drei gute Signale gefunden. Neben dem täglichen Signaltraining wurde der erste Diagnose-Schaft angefertigt.
Hier wurden die drei Elektroden eingesetzt, mit denen folgende Prothesenbewegungen am PC simuliert wurden: Ellenbogen beugen und strecken und das Öffnen der Hand. Die Hotspots wurden in die Probeprothese übernommen. Mit dieser konnte Sven B. dann die nächsten Wochen trainieren. Zu diesem Training kam er täglich ins Gesundheitszentrum. Zusätzlich nahm er seine Termine bei der Ergo- und Physiotherapie wahr. Nach nur vier Wochen konnte dann der vierte Hotspot, der für das Schließen der Hand verantwortlich ist, gefunden und im Schaft verbaut werden. Im Gesundheitszentrum wurde die TMR-Prothese fertiggestellt und pünktlich zum Weihnachtsfest konnte Sven B. sie mit nach Hause nehmen.
Ab jetzt hieß es weiter hart arbeiten: Sven B. musste dreimal die Woche ins Gesundheitszentrum kommen. Hier wurden nun fleißig die Signalstärke und die Signaltrennung trainiert. Parallel dazu ging er weiterhin zur Ergo- und Physiotherapie. Schnell stellten sich Erfolge ein, so dass Sven B. im Prothesengebrauch rasch weiter kam.
Ein neues Problem rückte in den Vordergrund. Bei dem Unfall im Januar 2017 wurde auch sein linkes Bein schwer in Mitleidenschaft gezogen, so dass eine erneute Operation anstand. Die Schmerzen im betroffenen Bein ließen keine kontrollierte Signalgebung zu. Nach einer sehr guten Beratung an der Unimedizin Greifswald wurde Sven B. im Januar erneut auf der Greifswalder Unfallchirurgie von Prof. Hinz operiert - erfolgreich.
Der schmerzfreie Zustand nach der Operation ermöglichte Sven B. wieder das Ansteuern der Prothese.Auch die Zeit während des stationären Aufenthaltes wurde genutzt, um bei Sven B. die Signale zu trainieren. Die Mitarbeitenden auf der Unfallchirurgiestation zeigten großes Interesse an der Versorgung und wurden von Sven B. und den Kollegen des Gesundheitszentrums über den technischen Hintergrund der Versorgung aufgeklärt.
Aktuell trainiert Sven B. zweimal die Woche im Gesundheitszentrum und zweimal die Woche bei der Ergotherapie. Im Vordergrund stehen hier Dinge des täglichen Lebens, wie Küchenarbeit, Einkäufe etc. Bei dem intensiven Prothesengebrauchstraining begleiten wir Sven B. zusammen mit den Therapeuten, und finden neue Lösungen für das Umsetzen neuer Halte- und Greiffunktionen gemeinsam heraus.
Das Ziel für Sven B. ist für ihn selbst klar definiert. Er möchte eine maximale Ausbeute an Bewegungsumfang mit der Prothese und damit maximale Funktion erreichen. Für das zweite bis dritte Quartal 2018 sind weitere Schaftanpassungen mit zusätzlichen Elektrodensignalen geplant. Zum Ende des Jahres kann dann im besten Fall eine simultane Ansteuerung über 5-6 Elektroden erreicht sein. Auch kommt dann noch ein myoelektrischer Greifer hinzu, den er alternativ zur Elektrohand einsetzen kann um handwerklich tätig zu werden.