"Alt" ist man immer später

Menschen im mittleren und höheren Alter setzen den Beginn des hohen Alters heute später an als die Geburtsjahrgänge vor ihnen

„Ab wann ist jemand alt?“ – Die meisten Menschen haben eine bestimmte Alterszahl im Kopf, ab der sie jemanden als „alt“ bezeichnen würden. Doch ist dieser subjektive Beginn des Altseins heute noch derselbe wie vor 10 oder 20 Jahren? Dieser Frage ist eine Forscher*innengruppe um Markus Wettstein (Humboldt-Universität zu Berlin) nachgegangen. 

Die Lebenserwartung ist in den letzten Dekaden angestiegen. Zudem kommen Menschen heutzutage gesünder ins höhere Alter als früher – zumindest was bestimmte Aspekte der Gesundheit betrifft; Demenz etwa tritt heutzutage durchschnittlich in einem späteren Alter auf als früher. Setzen also Menschen heutzutage den Beginn des Altseins später an als in der Vergangenheit?

Um diese Annahme zu überprüfen, werteten die Wissenschaftler*innen Daten des Deutschen Alterssurveys aus. In dieser Studie wurden Personen im mittleren und höheren Erwachsenenalter (40 bis 85 Jahre zum Zeitpunkt der ersten Befragung) seit 1996 wiederholt befragt. Regelmäßig wurden zudem zusätzliche Studienteilnehmer*innen gewonnen und ebenfalls wiederholt befragt. Mehr als 14.000 Personen haben über einen Beobachtungszeitraum von 25 Jahren mindestens einmal die Frage beantwortet, ab wann sie jemanden als alt ansehen und relevante andere Informationen, etwa zu ihrer Gesundheit, angegeben.

Die Auswertung dieser umfassenden Daten ergab nun, dass der Beginn des Altseins heute tatsächlich später angesetzt wird als noch vor 10 oder 20 Jahren, auch wenn dieser Trend hin zu einem späteren subjektiven Beginn des Altseins mittlerweile etwas zu stagnieren scheint. So setzen beispielsweise die im Jahr 1911 Geborenen den Beginn des Altseins im Durchschnitt bei 71 Jahren an, wenn sie selbst 65 Jahre alt sind. Dagegen liegt der subjektive Beginn des Altseins bei den im Jahr 1956 Geborenen im Durchschnitt bei 74 Jahren, wenn diese das Alter von 65 Jahren erreicht haben.  

Zudem beobachteten die Forscher*innen, dass in der Wahrnehmung von Frauen das Altsein im Durchschnitt mehr als zwei Jahre später beginnt als bei Männern. Dieser Geschlechterunterschied ist über die Zeit hinweg sogar größer geworden. Auch das eigene Alter spielt eine Rolle: Eine Person, die fünf Jahre älter ist als eine andere Person, setzt den Beginn des Altseins im Durchschnitt um mehr als ein Jahr später an als die jüngere Person. Darüber hinaus stellten die Wissenschaftler:innen fest, dass die Studienteilnehmer:innen, wenn sie einige Jahre später erneut befragt wurden, den Beginn des Altseins -  im Zuge ihres eigenen Älterwerdens - noch einmal später ansetzten als zuvor.

Offenbar beginnt also in unserer Wahrnehmung und Einschätzung das Altsein tatsächlich zunehmend später. Allerdings bleibt abzuwarten, ob sich dieser Trend in Zukunft fortsetzt, da er sicherlich von vielen Faktoren abhängt, etwa der künftigen Entwicklung der Lebenserwartung und der Gesundheit im hohen Alter. Auch ist unklar, inwieweit der Trend zum „Aufschieben“ des Altseins eine Tendenz hin zu einer positiven Sicht auf ältere Menschen und das Älterwerden widerspiegelt oder aber eher das Gegenteil. Womöglich wird der Beginn des Altseins aufgeschoben, weil das Altsein nicht als erstrebenswerter Zustand betrachtet wird.

Publikation
Wettstein, M., Park, R., Kornadt, A. E., Wurm, S., Ram, N., & Gerstorf, D. (2024). Postponing old age: Evidence for historical change toward a later perceived onset of old age. Psychology and Aging. https://doi.org/10.1037/pag0000812

Kontakt an der Unversitätsmedizin Greifswald
Prof. Dr. Susanne Wurm