Seite 21 - UKG live - Mitarbeiterzeitung 2 | 2012

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Pharmakologie im 19. Jahrhundert:
Respekt
vor den Leistungen der „Originale” unserer Zunft
Arbeiten unter widrigen Bedingungen
Geschichte
verfügt. Über den ganzen Hausboden wurden gewaltige Balken
gelegt, durch diese Eisenstangen nach unten hin geführt bis in
die Stubenwände hinein und dort verankert. Das obere Ende
der Eisenstangen war mit einem Schraubengewinde versehen,
und ein- oder zweimal im Jahre erschien ein Mann mit einem
Schraubenschlüssel und drehte überall
da, wo es not tat und Senkungen einge-
treten waren, die Eisenstangen samt den
an ihnen befestigten Hauswänden wieder
in die Höhe. So hing das ganze Gemäuer
an seinem eigenen Dach und es hat sich
recht gut gehalten, solange ich das zu be-
urteilen Gelegenheit hatte“.
Die Mitarbeiter im Referat Personal dürfte
dies auch heute noch beruhigen.
Erst 1908 zog das Pharmakologische Insti-
tut in die untere Etage des alten Instituts
für Chemie und Mineralogie in der Lange-
fuhrstraße (heute Friedrich-Loeffler-Straße
23d), in dem sich Hugo Schulz sicher ähn-
lich wohl gefühlt hat wie die Mitarbeiter
der Pharmakologie heute im neu errichte-
ten C_DAT. Hoffen wir, dass dem schönen
Haus in der Loefflerstraße im beginnenden
21. Jahrhundert ein ähnlich langer Leer-
stand erspart bleibt wie damals dem historischen Gebäude in der
Domstraße 14.
Prof. Werner Siegmund
[aus Siegmund et al., In: Philippu A (Ed.), Geschichte und Wirken der phar-
makologischen, klinisch-pharmakologischen und toxikologischen Institute
im deutschsprachigen Raum, Berenkamp, 2004, 275-286]
Domstraße 14: links um 1890 (Pharmakologisches Institut), rechts heute (Verwaltung der E.-M.-Arndt-Universität)
D
em 1883 nach Greifswald berufenen Ordinarius Hugo
Schulz wurden nach vielen Schreiben und mündlichen
Vorstellungen bei denmaßgeblichen Behörden endlich
1886 Räume für ein Pharmakologisches Institut im alten
Haus Domstraße 14 zugewiesen, das früher die geburtshilfliche
Klinik und das chemische Institut beher-
bergte und seit 12 Jahren leer gestanden
hatte. Die Innenausstattung war allerdings
auch für damalige Greifswalder Verhält-
nisse mehr als bescheiden; sechs Räume,
in denen als wichtigstes und wertvollstes
Gerät eine analytische Waage inventari-
siert war. Hugo Schulz ließ sich davon nicht
entmutigen, obwohl zur gleichen Zeit vie-
le deutsche Universitäten bereits über re-
spektable Institute verfügten und wie z. B.
Oswald Schmiedeberg in Straßburg einen
internationalen Kreis von Schülern um sich
scharten.
Sein folgender Bericht zeugt aber davon,
wie der als außergewöhnlich charisma-
tisch beschriebene Hugo Schulz dennoch
den vielen Misslichkeiten eine humorvolle
Seite abgewinnen konnte:
„Als aber doch einmal in Folge der Ent-
schlusslosigkeit des Hauses, nach welcher Seite hin es wohl
am besten sich umlegen könnte, ein Teil der Vorderfront über
Nacht stillschweigend herausgefallen und damit die Geheim-
nisse meines Arbeitszimmers profanen Augen preisgegeben
waren, wurde die theoretische und praktische Mechanik gründ-
lich zu Hilfe gezogen und eine ganz besondere Konstruktion