Seite 20 - UKG live - Mitarbeiterzeitung 2 | 2012

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UKG
live
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Kein Wort Deutsch sprach der damals
18-Jährige, als er an die Militärmedizini-
sche Fakultät und ins Internat nach Greifs-
wald kam. Nach neun Monaten Intensiv-
training, sechs Tage die Woche, konnte
er im Wendeherbst 1989 sein Studium
aufnehmen. Seine aus Afghanistan von
der Militärschule mitgebrachte Uniform
kam jedoch nie zum Einsatz. Nach dem
Studium folgten Stationen in der Neuro-
chirurgie der Unimedizin Greifswald, im
Neurologischen Rehabilitationszentrum
(heute BDH-Klinik Greifswald) sowie in der
Chirurgie im Krankenhaus Altentreptow.
Seit zehn Jahren gehört der Facharzt für
Chirurgie zum Team des Wolgaster Kreis-
krankenhauses. In Kürze wird Dr. Darwish
auch seinen zweiten Facharzt ablegen, für
Unfallchirurgie und Orthopädie.
Akzentfrei spricht der Mediziner heute
deutsch, fühlt sich als „Wolgaster“, liebt die
Ostsee und den Strand. Seine Frau kommt
aus der Peenestadt, seine Tochter Isabella
Mit 18 Jahren kam der Afghane Noorullah Darwish am 22. September 1988 zum Medizinstudium nach
Greifswald. Die DDR gab es bald nicht mehr, aber der junge Mann konnte sein Studium fortsetzen.
Heute ist er „Wolgaster“ und einer der erfahrensten Ärzte in der Notaufnahme am Kreiskrankenhaus.
Kkh wolgast
ist acht Jahre alt, sein Sohn John zwölf
Jahre. Eine ganz normale Familie und den-
noch etwas anders. „Natürlich verfolge
ich die Entwicklungen in meiner Heimat,
kenne die Hintergründe und wünsche mir,
meinen Kindern einmal das Land zu zei-
gen, in dem ich aufgewachsen bin. Noch
ist das zu unsicher. Alle zwei Jahre fährt er
seine Familie besuchen, die Eltern und sei-
ne fünf Geschwister. „Wir lesen viel über
Afghanistan und ich koche gern mit unse-
ren Gewürzen. Alles schmeckt viel besser
mit orientalischen Zutaten. Glücklicher-
weise können wir heute auch besser in
Kontakt bleiben. Früher gingen die Briefe
monatelang, heute skypen wir einfach“,
sagt der gebürtige Kabuler, den die Zu-
kunft seines Landes nicht unberührt lässt.
ImKlinikalltag ist der Chirurg oft in der Not-
aufnahme anzutreffen, wo vom eingetre-
tenen Nagel im Fuß bis zum großen Bruch
fast alles behandelt wird. Der Ansturm zur
Hauptsaison lässt das kleine Krankenhaus
vor der beliebten Sonneninsel Usedom zu
einer Rettungsstelle in Großstadtdimension
wachsen. „Im Juli und August, dazu bei
heißemWetter, brennt hier richtig die Luft.
Pro Tag warten dann bis zu 120 Patienten,
mehr als dreimal so viel wie üblich, in der
Notaufnahme. Dann müssen wir einen
kühlen Kopf bewahren und in Windeseile
entscheiden, welcher Mensch und Notfall
welche Priorität hat“, so Dr. Darwish.
In diesem Sommer spielt auch noch die
Fußball-EM in Polen und der Ukraine eine
Rolle. In Heringsdorf gibt es direkt an der
Seebrücke eine Public-Viewing-Kulisse mit
1.000 Sitzplätzen. „Wir sind auf alles vor-
bereitet, wenn möglicherweise viel Sonne
auf Emotionen, Frust und Überschwang
trifft“, so der 42-Jährige. Der Wolgaster mit
afghanischen Wurzeln strahlt eine große
innere Ruhe aus und betont, er habe es
nie bereut, die Uniform gegen den weißen
Kittel getauscht zu haben.
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Die Uniform blieb im Schrank
Ruhepol in der Hauptsaison – Dr. Noorullah Darwish sorgt als Chirurg für eine reibungslose
Versorgung von verunglückten Urlaubern