Seite 27 - UKG live - Mitarbeiterzeitung 3 | 2012

Friedrich Wilhelm Proell und die „neue” Greifswalder Zahnklinik
in der Rotgerberstraße 8 (erbaut 1934)
1923
übernahm Friedrich Wilhelm Proell
(1881-1963)
die Leitung des Greifswalder
Zahnärztlichen Institutes. Er verstand
sein Fach nicht nur als technisches Hand-
werk, sondern betonte die Beziehung von
Mundorganen und Gesamtorganismus.
Proell beschäftigte sich u. a. auch mit den
Ursachen von Stellungsanomalien der Kie-
fer und Zahnreihen. Sein Hauptwerk „Kli-
ma und Zivilisation in ihrer Auswirkung auf
die Zähne“ (Berlin 1934) folgte dem seiner-
zeit gängigen Trend zu rassenkundlichen,
ethnologisch-anthropologischen Untersu-
chungen bei Eingeborenenvölkern in Afri-
ka und Amerika. Auch eine Studie seines
Assistenten Arnold Bertelmann über den
Zusammenhang von „Kopfform und Kari-
es“ (1934), kommt zu dem Schluss, „dass
bei den zivilisierten Europäern die Prädis-
position zur Karies weniger in der Kopf-
form als vielmehr in dem Komplex schädli-
cher Umwelteinflüsse zu suchen ist.“
Unter Proell erhielt das Zahnärztliche Ins-
titut 1934 ein neues Lehrgebäude in der
Rotgerberstraße 8. Die neue Zahnklinik
war hochmodern und verfügte u. a. über
einen Sterilisationsraum von Lautenschlä-
ger, sterile Operationszimmer, drei Säle
mit Behandlungsstühlen für die konservie-
rende und die technische Zahnheilkunde,
Ölpumpstühle für die Assistenten, Räume
für Röntgen-, Mikro- und Makrofotografie,
eine allgemeine Beleuchtung von der Fir-
ma Zeiss-Ikon sowie von einem Greifswal-
der Ingenieur entwickelte schattenfreie
Tageslichtlampen zur Erhellung des Ope-
rationsfeldes. Sämtliche Räume wurden
mit einer Dampfheizung beheizt.
Mit geringem Erfolg setzte sich Proell, der
1926
sechs amerikanische Universitäten
besucht hatte, dafür ein, Elemente des
streng geordneten, zulassungsbeschränk-
ten, teilweise privatfinanzierten und mit
einer großen Zahl akademischer Lehrer
ausgestatteten amerikanischen Unter-
richtssystems zu übernehmen. In den
USA wurden seinerzeit im vierten Ausbil-
dungsjahr u. a. bereits ethische Fragen des
Faches thematisiert, während derartige
Ausbildungsinhalte in Greifswald erst seit
dem vergangenen Jahr Eingang in die
Lehre gefunden haben.
Proell sprach sich für eine Dezentralisie-
rung im Sinne kleinerer zahnmedizini-
scher Institute aus, die eine intensivere
Lehrer-Studenten-Beziehung, Übersicht-
lichkeit, kurze Wege sowie unkomplizierte
Beziehungen zu anderen Fächern ermög-
lichen. Das zahnärztliche Studium dürfe
zudem „nicht wie bisher eine ‚Zuflucht’
enttäuschter, durchgefallener Juristen,
Mediziner und Theologen sein.“ Einen
guten Konnex mit der allgemeinen Me-
dizin hielt Proell für essentiell, um auch
über den Rahmen seines Faches hinaus im
Sinne des Patienten wirken zu können. Er
forderte, nicht Spezialisten, sondern Prak-
tiker auszubilden, „die alle Gebiete unse-
res Faches so weit beherrschen, dass sie
ihren Mitmenschen helfen können [...] und
durch ihre theoretische Vorbildung zur
Zwischen ideologischer Enge
und Weltoffenheit
frohe Weihnachten
im spiegel der zeit
Kritik und weiteren Fortbildung befähigt
sind. Wir wollen auch nicht einen Merkan-
tilismus durch den dauernden Hinblick auf
eine gewinnbringende Praxis großziehen,
sondern in dem Studenten den sozialen
Gedanken groß werden lassen [...].“
Hartmut Bettin, Alexander Spassov,
Ramona Meißner-Kellotat
Zahnklinik in der Rotgerberstraße 8 um 1934
Behand-
lungssaal
Hörsaal
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