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UMG
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|2012
Domnick ist auch einer der bedeutendsten Sammler und Vermitt-
ler der modernen Nachkriegskunst. In der schwäbischen Klein-
stadt Nürtingen befindet sich seine bedeutende Kunstsammlung
mit etwa 250 Werken der abstrakten Nachkriegsmoderne, u. a.
mit Werken von Willi Baumeister (1889-1955), Fritz Winter (1905-
1976)
und Hans Hartung (1904-1989).
Domnicks Tätigkeitsfelder als Arzt, Filmautor und Kunstsammler
sind nicht isoliert zu sehen. Er entwickelt eine Vorliebe für psy-
chographische Kunst. Auch sein Filmschaffen ist sehr durch sei-
ne Kenntnisse über Psychosen und seelische Zustände geprägt.
Domnick selbst sieht sich nicht nur in seinem Wirken als Filmer
und Kunstsammler, sondern auch in seiner medizinisch-wissen-
schaftlichen Arbeit als Avantgardist. Er schreibt:
Zeitlebens kämpft Domnick mit Voreingenommenheiten. Für die
ärztlichen Kollegen ist er der Filmer und für die Filmer der Psychia-
ter mit den „Röntgenaugen und spinnigen Patienten, die auf ihn
abfärben.“
Dr. Hartmut Bettin
Eine solche Persönlichkeit ist der Psychiater und Neurologe
Ottomar Domnick (1907-1989). Domnick wird am 20. April 1907
in Greifswald geboren und studiert hier Medizin bis zur Promo-
tion. Er ist von keinem seiner Greifswalder Professoren sonderlich
begeistert. Allein die Leichenstudien bei den Anatomieprofesso-
ren Karl Peter (1870-1955), Otto Heinrich Dragendorf (1877-1962)
und Wilhelm Pfuhl (1889-1956) seien ihm noch gut in Erinnerung,
merkt er in seiner Autobiographie an.
Domnick reift unter dem berühmten Hirnpathologen Karl Kleist
(1879-1960),
dem Begründer der psychosomatischen Psychia-
trie Viktor von Weizsäcker (1886-1957) sowie unter dem Einfluss
Viktor Emil von Gebsattels (1883-1976) zum Psychiater und ver-
öffentlicht mehrere psychiatrisch-neurologische Arbeiten. Er
versucht, zwischen der Hirn-Rückenmarkspathologie Kleists, der
Weizsäckerschen psychosomatischen Lehre und der Konstitu-
tionslehre Ernst Kretschmers (1888-1964) zu vermitteln.
Nach demKrieg engagiert er sich neben seiner ärztlichen Tätigkeit
in seiner Stuttgarter psychiatrischen Privatklinik vor allem für die
Künste. Er schreibt Drehbücher, produziert Dokumentar- sowie
Spielfilme und gilt als Wegbereiter des experimentellen Films. Mit
einem seiner avantgardistischen Spielfilme „Jonas“ findet Dom-
nick nationale sowie internationale Anerkennung und gewinnt
1957
einen „Bambi“, den Bundesfilmpreis und den Deutschen
Kritikerpreis. Für sein langjähriges und hervorragendes Wirken im
deutschen Film erhält er 1988 das Filmband in Gold.
Die Medizinische Fakultät der Universität Greifswald hat eine Reihe bedeutender Ärzte hervorgebracht,
die vor allem als Forscher und Kliniker bekannt wurden, wie z. B. Friedrich Berndt, August Bier, Friedrich
Loeffler und Oskar Minkowski. Weniger Aufmerksamkeit erfuhren indes jene, die zwar gute Wissen-
schaftler und Ärzte waren, aber vor allem durch ihr Wirken abseits der Medizin herausragten.
Verbindung von ärztlichem Wirken und Kunst
im Spiegel der Zeit
1963
An der Kamera 1953
Filmplakat
Um 1950
Ottomar Domnick
Neue Erkenntnisse werden auch fast
immer zuerst abgelehnt, ja bekämpft,
ehe ihr Wahrheitsgehalt sich durch-
setzt. Das gilt für die Wissenschaft,
erst recht für die Kunst. Die Avant-
garde wird zuerst beschossen.”