Adipositas

In Deutschland sind laut Robert-Koch-Institut circa 60 Prozent der Männer und etwa 47 Prozent der Frauen übergewichtig. Fast ein Fünftel der Erwachsenen ist sogar so stark überwichtig, dass sie als adipös gelten. Solche alarmierenden Zahlen zeigen sich global wie auch lokal. Laut Gesundheitsatlas Deutschland sind etwa 223 400 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern adipös. Von einer hohen Dunkelziffer ist auszugehen. „Adipositas hat sich mittlerweile zu einer Volkskrankheit entwickelt“, beschreibt Dr. Simone Gärtner die aktuellen Zahlen. Sie ist Ernährungswissenschaftlerin an der Universitätsmedizin Greifswald.

Es handelt sich um eine chronische Krankheit, die mit einem erhöhten Risiko für verschiedene Begleiterkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Gelenkproblemen einhergeht. Neben genetischen Faktoren spielen auch Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsmangel eine Rolle bei der Entstehung von Adipositas. Die Behandlungsmöglichkeiten umfassen daher meist eine Kombination aus Ernährungsberatung, Bewegungstherapie und in einigen Fällen auch chirurgischen Eingriffen.

Die Kriterien für eine operative Therapie sind eindeutig von verschiedenen Fachgesellschaften festgelegt und stellen damit auch die Grundlage für die Kostenübernahme der Versorgung. Hieran orientiert sich auch unser Behandlungsteam. Die Bedingungen umfassen z. B.

  • morbide Adipositas,
  • einen BMI über 40 kg/m² oder mindestens 40 kg Übergewicht,
  • einen BMI über 35 kg/m² und Komorbiditäten,
  • mehrere erfolglose konservative Therapieversuche unter ärztlicher Aufsicht,
  • ein ausgeprägtes metabolisches Syndrom

Neben dem Übergewicht treten häufig auch behandlungsbedürftige Begleiterkrankungen auf, darunter Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Schlafapnoe, Sodbrennen, Gallensteine und andere. Viele dieser Erkrankungen können durch gewichtsreduzierende Therapien behandelt werden, wobei insbesondere die Zuckerkrankheit empfindlich auf Gewichtsabnahme reagiert.

Angesichts dieser Herausforderungen ist ein ganzheitlicher und individueller Ansatz zur Bewältigung und Prävention von Adipositas von entscheidender Bedeutung.

Patient*innengeschichten

Elisabeth T.: „Man muss das nicht alleine schaffen“

Elisabeth T.: „Man muss das nicht alleine schaffen“

Elisabeth T. wog noch vor einem Jahr 172 Kilo. Kurz vor der Wende wurde sie geboren. „Dann kamen plötzlich ganz viele beliebte Produkte auf den Markt, die meine Eltern total interessant fanden“, erzählt sie, „und davon haben wir als Familie leider gar nicht profitiert.“ Sie berichtet von zuckerhaltigem Krümeltee, den sie als Kinder gelöffelt hatten. Von Fertiggerichten und Tiefkühlpizzen, die nach der Schule auf dem Speiseplan standen.

Doch die Ursachen, warum Adipositas-Betroffene so stark übergewichtig werden, können sehr verschieden sein, erzählt Simone Gärtner von der Ernährungsmedizin der UMG. Die Patienten, die zu ihr in die Sprechstunde kommen, führen meistens zunächst zwei Wochen lang ein Ernährungsprotokoll. Das helfe vielen Menschen schon dabei, über die eigene Ernährung nachzudenken. Die häufigsten Fehler bei der Ernährung bestehen vor allem darin, dass viele Patienten keine Strukturen in ihren Mahlzeiten hätten: „Viele unserer Patienten essen oftmals über einen längeren Zeitraum nichts, sind dann ausgehungert und nehmen schließlich eine viel zu große Mahlzeit zu sich“, erzählt sie. Ebenso häufig komme es vor, dass die Patienten viele Snacks über den Tag verteilt zu sich nehmen und die Kalorienzufuhr dadurch insgesamt zu hoch werde. Dabei hätten Snacks wie gesund geglaubte Müsliriegel mit viel Zucker oder Fett eine besonders hohe Energiedichte. Das gilt auch für kalorienhaltige Getränke wie Limonaden, Säfte oder auch Milch. Außerdem werden Portionsgrößen häufig falsch wahrgenommen: „In Zeiten von XXL-Schnitzel und Co wissen viele gar nicht mehr, was eine für sie angemessene Portion ist“, berichtet Gärtner.

Auch das gehörte zu den falschen Gewohnheiten von Elisabeth T. – von allen eigentlich nur Lizzy genannt. Zwar hätte sie vor 15 Jahren ihre Ernährung umgestellt und nur noch frisch gekocht, weniger verarbeitete Produkte verwendet und mehr Obst und Gemüse gegessen, „aber ich habe gegessen wie ein Scheunendrescher.“ Ein Sättigungsgefühl habe sie schon als Kind nie verspürt. Ständig hatte sie den Zwang, sich Essen in den Mund zu stecken.

Psychotherapeutische Begleitung

Wie komplex die Beweggründe von Adipositas-Patienten sein können, schildert Prof. Michael Lucht von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG. Im Rahmen von psychologischen Interventionen sei es wichtig, sich den Geschichten der Patienten zu nähern. „Trennungsgeschichten, die Geburt des eigenen Kindes oder aber die Tatsache, dass unsere Patienten schon immer dick waren und als Kinder mit Essen belohnt worden sind – das sind häufige Erklärungsansätze für das Übergewicht“, erzählt er. Klinikdirektor Prof. Hans Grabe ergänzt: Neben der psychischen Erkrankung im Sinne einer Essstörung gebe es die Emotionsregulation durch Essen. Aus Einsamkeit, Kummer, Langeweile, Frust oder Stress essen die Betroffenen, damit sie sich psychisch wieder besser fühlen. Essen dient dann als Ersatz für Belohnung oder Trost. „Die Patienten essen teilweise so viel, dass sich selbst die übelsten Gefühle in der Trance des Wohlseins in Luft auflösen“, so Grabe. Deshalb sei es so wichtig, bei Adipositas-Patienten ein psychologisches Gutachten zu erstellen und dann Strategien zu entwickeln. Eine konservative Psychotherapie sei bei einigen Patienten möglich. Durch die Mischung aus Gruppentherapien, Einzelgesprächen, Ergo- und Physiotherapien können Betroffene auch ohne OP oftmals schon bemerkenswerte Ziele erreichen. Viele Patienten unterziehen sich jedoch einer Operation, im Zuge dessen der Magen verkleinert wird. „Unsere Patienten können nach dem Eingriff schlichtweg nicht mehr so viel essen wie vorher“, betont Grabe. Emotionales Essen sei dann nicht mehr möglich. Die Emotionen seien jedoch nach wie vor vorhanden. „Da ist es von höchster Bedeutung, schon vor der OP Methoden zu entwickeln, um die Gefühle künftig zu kompensieren."

Auch Elisabeth T. wollte eine solche bariatrische OP. Vor 13 Jahren ging sie zum ersten Mal in die Adipositassprechstunde der Universitätsmedizin Greifswald. Gemeinsam mit Oberarzt Dr. Wolfram Keßler, Facharzt für Chirurgie und Viszeralchirurgie, wollte sie ihren Kilos endlich den Kampf ansagen. Sie war bei der Ernährungsberatung. Außerdem wurde eine Hormonstörung als Ursache ihres Gewichts ausgeschlossen. Schließlich besprach sie ihre Probleme mit einer Psychologin, bevor sie sich zwecks präoperativer Gewichtsabnahme einen Magenballon einsetzen ließ. „Das einzige, was mir damals fehlte, war ausreichend Support von außen“, blickt Lizzy zurück. Aufgrund des beruflichen Ausfalls im Zuge der anstehenden OP habe ihr Job auf der Kippe gestanden. „Da war ich einfach nicht selbstbewusst genug und wusste nicht, dass mir das doch eigentlich zusteht – das Leben, das ich mir wünschte“, erzählt sie weiter. Und so kam es dazu, dass sie zwar durch den Ballon ihr Gewicht von 154 kg auf 128 kg reduzieren konnte, die geplante OP jedoch nicht erfolgte. „Nach einem halben Jahr wurde der Ballon wieder entfernt und ich habe erneut zugenommen“, bedauert sie. In den letzten zehn Jahren machte sie viele Diäten – von Low Carb Ernährung, über Fasten und Intervallfasten bis hin zur ketogenen Diät. Was folgte, war immer wieder der Jo-Jo-Effekt. „Das zerreißt einen innerlich so sehr“, beschreibt sie die Zeit, „denn ich dachte immer wieder, ich sei auf einem guten Weg, aber sobald ich nicht mehr restriktiv war und mir alles verboten habe, hatte ich verloren.“

Auch privat habe sich in Lizzys Leben viel getan: Sie wechselte den Beruf, heiratete, baute ein Haus und wurde schließlich Mutter. Aus Angst vor Komplikationen in der Schwangerschaft hielt sie anderthalb Jahre lang eine strikte Diät ein. Das sei für sie eine besonders harte Zeit gewesen. Mit der Geburt ihres Sohnes wurden die Kilos auf der Waage wieder mehr. Schließlich hatte sie ein Kind zu versorgen und war dadurch weniger achtsam mit sich selbst. Vor etwa einem Jahr, als sie die 172 Kilo auf die Waage brachte, brach sie sich den Fuß. Das war der Wendepunkt, wie sie sagt: „Ich fragte mich: Was mache ich hier eigentlich? Warum muss meine Familie derart leiden, nur weil ich eingeschränkt bin? Warum kann ich nicht all die Dinge mit meinem Kind machen, die für andere Mamis selbstverständlich sind?“.

Erneut ging sie in die Adipositassprechstunde zu Wolfram Keßler. „Er hatte mich mit offenen Armen empfangen“, erinnert sich Lizzy. Kein Wort der Abfälligkeit. Kein Wort der Vorwürfe, sie hätte das alles doch schon viel eher machen können. „Mit dem Tag, als ich mich bei Dr. Keßler vorgestellt habe, wusste ich, dass wir das schon irgendwie hinkriegen“, erzählt sie. Und so wurden erneut alle wesentlichen Fachbereiche an der Unimedizin Greifswald einbezogen. „Wir haben alles von vorn aufgerollt, die für mich richtige Operationsmethode besprochen und bei sämtlichen Terminen immer wieder geschaut, wie ich trotz privater und beruflicher Verpflichtungen alles unter einen Hut bringen kann“, so Lizzy weiter.

Operativer Eingriff

Die 36-Jährige entschied sich für den sogenannten Magenbypass, ein Operationsverfahren, bei dem der Magen verkleinert und der Verdauungsweg verkürzt wird. Dazu wird ein großer Teil des Magens und Dünndarms umgangen und damit stillgelegt. Die Nahrung wandert dann also nicht mehr durch den ganzen Magen und Dünndarm, sondern gelangt direkt von einer neu gebildeten Magentasche in den Dünndarm. Bereits vor der OP nahm Lizzy mithilfe der Ernährungsmedizin dreißig Kilo ab. Dann kam der Tag der OP – ihr zweites Geburtsdatum, wie sie sagt. Aufgeregt oder ängstlich sei sie kein Stück gewesen. „Im Gegenteil“, erzählen Wolfram Keßler und Schwester Steffi, die sogenannte Bariatric Nurse an der Universitätsmedizin: „Frau T. hat richtig Stimmung gemacht, weil sie uns allen ein Ständchen gesungen hatte, bevor es in die Narkose ging.“

Die ersten beiden Tage nach der OP habe sich Lizzy wie überfahren gefühlt, „aber durch das ausführliche Aufklärungsgespräch war mir vorher schon klar, dass ich Wundschmerzen und Schmerzen vom Liegen haben werde“. Dann ging es ganz schnell. Nach nur vier Tagen durfte sie nach Hause gehen. Flüssignahrung stand zunächst auf ihrem Speiseplan. Nach vier Wochen gab es die erste vollwertige Kost. Dabei seien die Kostvorschläge der Ernährungsmedizin eine große Hilfe für sie gewesen: „Man muss sich die Rezepte gar nicht alleine heraussuchen, denn die Ernährungsmedizin hat für uns ein großes Pamphlet an Rezeptvorschlägen erarbeitet.“ Seit der Operation sind drei Monate vergangen. Weitere 32 Kilo hat Lizzy abgenommen. Mittlerweile wiegt sie 110 kg. Sie wusste nie, wie es sich anfühlt, satt zu sein. Seit der OP empfinde Lizzy nun ein angenehmes Sättigungsgefühl. Das sei nach einem operativen Eingriff zur Gewichtsreduktion typisch, wie Dr. Wolfram Keßler erklärt: „Neben den rein ‚mechanisch‘ nachvollziehbaren Veränderungen, wie kleinen Portionsgrößen beim Essen und einer veränderten Nährstoffverwertung, treten hierbei auch extrem viele Veränderungen auf, die auf hormonellen Effekten beruhen.“ Hierzu gehören unter anderem eine Veränderung des Hunger- und Sättigungsgefühls, aber auch eine häufig zunehmende Lust auf Aktivität und Bewegung. „Schafft man es gemeinsam mit den Patienten, die individuell passende Therapieform zu finden, kann ein völlig neues und häufig positives Lebensgefühl entstehen“, betont Keßler außerdem.

Veränderungen von Körper und Seele

Dieses neue Lebensgefühl entstand bei Lizzy schon kurze Zeit nach der OP. Da ist zum einen die Veränderung ihres Äußeren, worauf sie immer wieder angesprochen wird. Euphorisch erzählt sie: „Ich entdecke Knochen in mir, die ich zwanzig Jahre nicht gesehen habe – ich habe plötzlich ein Schlüsselbein, ich habe Kniegelenke!“. Ihre Mutter habe sogar vor Freude geweint, als sie sich das erste Mal nach einiger Zeit gesehen haben. Sie habe Lizzy zunächst gar nicht wiedererkannt.

Da ist zum anderen die mentale Veränderung. Sie sei selbstbewusster und glücklicher. Schon jetzt habe sie viele andere adipöse Menschen inspiriert, diesen Weg zu gehen. „Ich möchte den Menschen sagen, dass sie keine Aliens sind“, erzählt Lizzy mit Tränen in den Augen. „Ich dachte immer, ich wäre jemand, den man anschauen muss und den die Gesellschaft abschätzig behandeln darf“, erzählt sie weiter, „aber es gibt Gründe, warum wir so sind wie wir sind.“ Menschen werden stigmatisiert. Jeden Tag. Und die Menschen leiden, weil sie Angst haben, sich einzugestehen, dass sie ein Problem haben. „Doch eigentlich sind wir total normal – eben Menschen mit Problemen“, so Lizzy. Doch man könne sich helfen lassen. Und man müsse das nicht alleine auf die Beine gestellt bekommen.

Und da ist schließlich der Einklang von Körper und Seele. Eigentlich sei sie schon immer eine sprudelnde Seele mit vielen Wünschen gewesen. Sie konnte es nur nicht richtig zeigen und fühlte sich wie eine Gefangene ihres eigenen Körpers. „Jetzt aber passt mein Körper endlich zu meiner Seele“, erzählt sie, „denn ich kann das Aktive in mir bedienen, was ich niemals durfte.“ Mittlerweile treibt Lizzy viel mehr Sport – am liebsten Fahrradfahren, Aquafitness und Rudern. Auch ihr Alltag laufe viel unbeschwerter ab: Einkäufe tragen, die Schuhe anziehen, sich ohne Probleme auf Stühle mit Armlehnen setzen oder aber das Wettrennen mit dem eigenen Kind. „Früher habe ich geschnauft wie ein Rhinozeros, wenn ich mit meinem Sohn um die Wette rannte“, lacht sie, „heute sehe ich es gar nicht ein zu verlieren.“ Sie genieße es, Dinge zu tun, die sie vorher nicht durfte oder konnte. Das bedeute für sie Belohnung. Ihr großes Ziel sei es, einen begleiteten Tandemsprung zu machen. Das könne man erst, wenn man unter einhundert Kilo wiegt.

Lizzy ist sich sicher: Wolfram Keßler hat ihr mit diesem operativen Eingriff 10 oder 15 Jahre geschenkt. „Er ist mein persönlicher Superheld, weil er mein Leben verlängert hat“, erzählt sie. „Ich bin eine junge Frau, habe ein Glück noch keine Folgeerkrankungen und dank seines Eingriffs und der ganzen Einrichtung werde ich wohl auch keine Folgeerkrankungen davontragen.“

Thomas V.: Wenn Adipositas schwere Folgeerkrankungen verursacht

Thomas V.: Wenn Adipositas schwere Folgeerkrankungen verursacht

Adipositas ist eine chronische Krankheit und Risikofaktor zugleich. Denn sehr häufig verursacht Adipositas schwere Begleiterkrankungen: Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Schlaganfall, Herzinfarkt, koronare Herzkrankheit), Arterienverkalkung, Diabetes mellitus Typ 2, Fettstoffwechselstörungen, Gelenkerkrankungen, Venenleiden oder Schlaf-Apnoe. Auch das Krebsrisiko ist bei adipösen Menschen stark erhöht. Neben den psychischen Belastungen nimmt das starke Übergewicht ebenso Einfluss auf die Fruchtbarkeit von Frauen. Zwar seien die verschiedenen chirurgischen Verfahren nicht für jeden Patienten gleich gut geeignet, wie Dr. Wolfram Keßler, Facharzt für Chirurgie und Viszeralchirurgie an der UMG, betont: „Häufig stellen die operativen Eingriffe jedoch die einzige Möglichkeit dar, schwere Risiken durch das Übergewicht zu reduzieren und damit Lebenszeit sowie Lebensqualität zu gewinnen.“

Thomas V. gehört zu diesen Patienten, die aufgrund von Adipositas Folgeerkrankungen davontrugen. Seit seinem neunten Lebensjahr sei er dicker gewesen, wie der 53-Jährige aus Torgelow erzählt. Auch seine Portionen waren schon in der Kindheit viel zu groß. Zu jeder Mahlzeit hat er die gleiche Menge zu sich genommen wie sein Vater. „Ich habe mich an die Portionsgrößen gewöhnt und bin dadurch immer dicker geworden“, erinnert er sich. Aus Gewohnheit sei ein Suchtverhalten geworden. Irgendwann habe der Körper einfach danach verlangt, ständig ganz viel zu essen. In seiner Jugend war er dann stark übergewichtig, bis man bei ihm mit zwanzig Jahren den Diabetes mellitus Typ 2 festgestellt hat. Im Laufe der Jahre kamen weitere Baustellen dazu: Bluthochdruck, Probleme mit der Wirbelsäule, Karpaltunnelsyndrom und eine diabetische Polyneuropathie. Letztere ist eine Nervenschädigung, bei der es zum Beispiel zu Missempfindungen, Kribbeln, Schmerzen und Taubheitsgefühlen in Beinen oder Armen kommt.

Thomas V. hatte viele Diäten ausprobiert und sogar Abnehmpillen genommen. Jedes Mal habe er danach wieder sein Ausgangsgewicht oder auch ein paar Kilos zusätzlich auf die Waage gebracht. Zu seinen Hochzeiten wog er 148 kg. So konnte es nicht weitergehen. Auch er holte sich Hilfe im Adipositaszentrum der UMG. Im Rahmen der interdisziplinären Behandlung wurde Thomas V. ebenso umfassend untersucht. Psychotherapeutisch habe er für sich zwar keine Notwendigkeiten gesehen, wie er sagt, aber ihm sei bewusst, wie wichtig solch ein Gutachten sein kann: „Ich selbst bin gelegentlich ehrenamtlich seelsorgerlicher Ansprechpartner, ich bin gefestigt und habe mir zudem nie irgendwelche verletzenden Sprüche aus meinem Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis oder aber aus der Gesellschaft anhören müssen“. Doch er weiß, mit welchen psychischen Belastungen viele adipöse Menschen zu kämpfen haben.

Vor einem Jahr unterzog er sich dann der Magenbypass-OP. Seitdem nehme er stetig ab. Nun habe er endlich ein Sättigungsgefühl. 53 Kilo habe er seit dem Eingriff schon verloren. Äußerlich erkennen ihn einige Menschen gar nicht mehr wieder. „Neulich kam eine Frau aus der Kirchengemeinde auf mich zu und meinte, sie kenne mich gar nicht – sie kenne nur meinen stabilen Bruder“, lacht Thomas V. Bei anderen adipösen Menschen, die ihn darauf ansprechen, bringe er den Stein ins Rollen. Vor kurzem habe er einen befreundeten 20-jährigen Mann mit in die Adipositassprechstunde genommen, der mit seinen 178 Kilo ebenso bereit für eine Veränderung ist.

Doch was für Thomas V. ein noch viel größerer Erfolg ist: Er konnte durch diesen Eingriff wesentliche Begleiterkrankungen heilen. Etwa sechs Wochen nach der Magenbypass-OP hatte er keinen Bluthochdruck mehr. Und fünf Monate danach war er schon kein insulinpflichtiger Diabetiker mehr. Das sei neue Lebenszeit, die ihm geschenkt wurde. Dieser Erfolg eines sogenannten metabolisch-bariatrischen Eingriffs sei richtungsweisend, wie Dr. Wolfram Keßler betont. „In über 80 Prozent der Fälle kann man den Diabetes mellitus Typ 2 bei übergewichtigen Patienten unter die Nachweisgrenze senken“, erklärt der Chirurg, „das schafft kein Medikament der Welt!“ Für die Zukunft sei in diesem Bereich daher noch einiges zu erwarten.

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