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UMG
live
4|2013
humangenetik
Ein außerordentlich
dynamisches Fach
Die Humangenetik gewinnt innerhalb der Medizin zunehmend
an Bedeutung. Im Interview fragte UMG
live
die Direktorin des
Instituts für Humangenetik, Prof. Ute Felbor, nach ihren Zielen
und ihrer Faszination am Fachgebiet.
Was fasziniert Sie an der Humangenetik?
Die vielen spannenden Fragen, die oft
unmittelbar den Weg aus der Grundla-
genforschung in die Patientenversorgung
finden. So wurde 1993 entdeckt, dass die
Erbkrankheit Chorea Huntington durch
einen neuen Mutationsmechanismus –
sogenannte dynamische Mutationen – in
einem zuvor nicht bekannten Gen verur-
sacht wird. Damals war ich vermutlich die
erste deutsche Humanmedizinstudentin
mit Wahlfach Humangenetik im PJ. Ein
Jahr später führte ich als Ärztin im Prakti-
kum schon die vorhersagende genetische
Huntington-Diagnostik im molekularge-
netischen Labor selber durch.
In der Fachpresse ist immer wieder der
Begriff „Next Generation Sequencing“ zu
lesen. Was ist darunter zu verstehen?
Traditionell wurde gezielt die Basenabfol-
ge einer oder weniger Erbanlagen (Gene)
untersucht. Mit den neuen Verfahren
können gleichzeitig sehr viele oder sogar
alle Gene untersucht werden. Das heißt,
dass die genetische Ursache von vielen,
noch ungeklärten Erbkrankheiten sehr viel
schneller herausgefunden werden kann.
Wir lernen dabei aber auch, dass die Hu-
mangenetik viel komplexer ist, als Mendel
annahm. Das Fach bleibt also noch lange
spannend!
Welche Ziele hatten Sie für die Human-
genetik in Greifswald, als Sie das Institut
übernahmen?
Fokussierte, zeitgemäße Forschungsakti-
vitäten mit Drittmittelakquise zu entfal-
ten, eine stabile humangenetische Famili-
enberatung und Diagnostik für die Region
sicher zu stellen und gute Lehre, Fort- und
Weiterbildungen zu garantieren.
Konnten Sie einige Ihrer Ziele schon
umsetzen?
Ja, sehr viele sogar. Nach einem völlig
komplikationslosen Berufungsverfahren
folgte bereits 2010 der Erstplatzierte un-
ter 25 Bewerbern, Prof. Andreas W. Kuß,
dem Ruf auf die Professur für Molekulare
Humangenetik. Er brachte seine Arbeits-
gruppe vom Berliner Max-Planck-Institut
für Molekulare Genetik mit, die das erste
Sequenziergerät der neuen Technologie-
generation professionell in Betrieb nahm.
Dieser SOLiD 5500xl kostete mit seiner
Peripherie 711.000 Euro und wurde über
einen von der DFG (Deutsche Forschungs-
gemeinschaft) positiv bewerteten Groß-
geräteantrag beschafft. All dies waren
Voraussetzungen für weitere bereits be-
willigte Drittmittel, so z. B. eine Sachbei-
hilfe der DFG und der Bundeswehr und
ein Teilprojekt im EU-Programm EnVision.
In der Krankenversorgung konnten wir
mit Oberarzt Dr. Gilberg einen erfahre-
nen Humangenetiker und Kinderarzt für
die Universitätsmedizin gewinnen und
die Fachabteilung Humangenetik, die seit
1974 in Neubrandenburg existiert, mit der
Greifswalder Humangenetik zusammen-
führen. Zusätzlich zum Konsildienst für die
Universitätsmedizin versorgen wir nun im
ambulanten Bereich mit dem Hauptsitz in
Greifswald und einer Zweigstelle in Neu-
brandenburg ein Einzugsgebiet, das Vor-
pommern, die Mecklenburgische Seen-
platte und Nordbrandenburg einschließt.
In der Lehre kam die Humangenetik be-
reits im Wintersemester 2010/2011 unter
den TOP 10 auf Platz 5. Von der Ärztekam-
mer M-V wurde ich mit der Leitung der
landesweiten Fortbildungsveranstaltun-
gen zur „Fachgebundenen genetischen
Beratung“ beauftragt, die 2012 im Rah-
men des Gendiagnostikgesetzes notwen-
dig geworden waren. Besonders wichtig
erscheint mir, dass wir den ersten Studen-
ten, der das Wahlfach seines Praktischen
Jahres in der Greifswalder Humangenetik
absolvierte, auch als Weiterbildungsassis-
tenten gewinnen konnten. Ich blicke folg-
lich positiv dem Jahr 2014 entgegen.
Welchen Stellenwert geben Sie dem
Fach innerhalb der Medizin derzeit und
was verspricht die Zukunft?
Die Humangenetik ist ein außerordentlich
dynamisches Fach, das alle Fachgebiete
der Medizin berührt. Der Humangenetik
wird international eine zunehmend zen-
trale Rolle zugeschrieben. Bedenken Sie
einfach, dass der erbliche Brustkrebs und
der erbliche Darmkrebs Prävalenzen von
1:500 bzw. 1:1000 haben und somit zu den
häufigen Krankheiten gehören.
Das Interview führte Katja Watterott-Schmidt.
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