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UMG
live
4|2013
Katja Watterott-Schmidt im Gespräch mit Dr. Thorsten Wygold
mittendrin
Im Zuge des demografischen Wandels
ist die Altersmedizin ein großes Thema.
Sie wird immer mehr in den Vordergrund
rücken und wir sollten uns darauf einstel-
len. Auch hier brauchen wir Konzepte, in
denen die alternden Menschen ganzheit-
licher gesehen werden. Wie müssen bei-
spielsweise Stationen altengerecht ein-
gerichtet sein? Wie können Angehörige
von kranken alten Menschen unterstützt
werden? Was passiert nach der Entlas-
sung? Diese und weitere Fragen gilt es zu
adressieren. Wir haben die Möglichkeit,
beispielsweise mit Hilfe der Forschung des
Instituts für Community Medicine neuar-
tige Versorgungskonzepte zu entwickeln,
die Beispielcharakter für M-V und auch
bundesweit haben können.
Sie sind 2003 in den Irak gegangen,
nach Bagdad. Wie kam es dazu?
Damals hat meine Fachgesellschaft nach
Kinderärzten gesucht, die mit der Hilfs-
organisation Cap Anamur /Deutsche Not-
suchungen und kleinere Eingriffe durch-
führen, was für die Eltern und die kleinen
Patienten schon eine große Hilfe war. Für
die Verständigung hatten wir immer einen
Dolmetscher an unserer Seite.
Sie waren auch einige Zeit in den USA.
Die Erfahrungen im Ausland verändern
den Blick auf das Heimatland. Wie sahen
Sie das Leben in Deutschland danach?
Mir wird nach Auslandsbesuchen immer
deutlich, wie gut es uns hier geht. All-
tagsprobleme habe ich relativiert, indem
ich sie mit der Situation der Menschen im
Irak verglichen habe. Aber nicht nur der
Einsatz mit Cap Anamur hat mich geer-
det, auch meine langjährige Tätigkeit als
Kinderintensivmediziner. Privilegiert sind
wir auch in Bezug auf unser Gesundheits-
system. Wir haben im Vergleich zu ande-
ren Ländern eine sehr gute Patienten-
versorgung. Was mich dann manchmal
ärgert, sind solche Anspruchshaltungen,
dass kleine Wehwehchen umgehend be-
„Ich werde viele Besuche vor Ort in den Kliniken tätigen,
um mir ein besseres Bild ... verschaffen zu können. Eine
Unterstützung meinerseits ist so besser möglich.”
Ärzte e.V. für einen sechswöchigen Aufent-
halt in den Irak gehen. Ich habe daraufhin
der Fachgesellschaft meine Kontaktdaten
übermittelt. Eine Stunde später bekam ich
einen Anruf vom Vorsitzenden von Cap
Anamur. In dem Gespräch erfuhr ich, was
mich erwarten würde und habe spontan
zugesagt. Eine Woche später ging es los.
Sie haben dort ein Kinderkrankenhaus
geleitet. Was war Ihre größte Heraus-
forderung?
Es waren die Tage kurz nachdem die
Amerikaner dort ihren Feldzug beendet
hatten. Alles war eine Herausforderung.
Es gab keine öffentliche Sicherheit, die
Krankenhäuser lagen brach. Es gab keine
oder nur wenige einheimische Ärzte, die
den Menschen helfen konnten. In Sadr
City, einem armen Stadtteil von Bagdad,
haben meine Kollegen und ich einen Ge-
sundheitsposten aufgebaut, der wie ein
kleines Krankenhaus war. In dem Gebiet
waren Strom und Wasser abgeschaltet, es
drohten Seuchen. Wir konnten dort Unter-
handelt werden müssen, egal zu welcher
Zeit. Ich glaube, wir wissen manchmal
nicht zu schätzen, dass es Menschen gibt,
die nachts und am Wochenende arbeiten
und für uns da sind. Anders herum ärgert
es mich aber auch, wenn Patienten un-
freundlich und ohne Respekt behandelt
werden. Da könnte ich aus der Haut fahren.
Hatten Sie schon einmal den Drang aus-
zusteigen und was anderes zu machen?
Der Drang kommt ab und zu, er geht
dann aber auch spontan wieder weg. Mit
meiner Großfamilie mit Hund findet die
persönliche Selbstfindung sowieso nicht
meditierend auf La Gomera, sondern hun-
demüde abends auf dem Sofa statt. Aber
ich stelle mir schon regelmäßig die Frage
und finde sie auch wichtig, ob das, was ich
gerade tue, immer noch zu mir passt. War
die Antwort darauf nicht eindeutig „ja“,
habe ich mich bemüht, mein Leben ent-
sprechend zu verändern. Dafür steht mein
ziemlich bunter Lebenslauf. Ich möchte
mich als Typ nicht verstellen müssen, auch
wenn es ab und zu sicher von Vorteil wäre.
Jeder sollte ein gewisses Maß an Selbst-
reflexion besitzen und vor allem sich selbst
nicht zu wichtig nehmen.
Was tun Sie für Ihre Gesundheit?
In den letzten Jahren viel zu wenig. Lei-
der sieht man mir das mittlerweile auch
an. Es wird mir wohl kaum einer glauben,
dass ich früher Leistungssportler war. Ich
wäre schon gern deutlich fitter. Seit ich in
Greifswald bin, fahre ich zumindest wieder
regelmäßig Fahrrad. Wenn es die Zeit er-
laubte, würde ich gern in einer Alt-Herren-
Truppe Handball spielen oder kicken.
Und immerhin steht jetzt täglich eine
Schale mit Äpfeln im Büro. (lacht)
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte
Katja Watterott-Schmidt.
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