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UMG
live
4|2013
Personalisierte Medizin und SHIP –
Von der Bevölkerung zum Individuum?
Der Begriff „Personalisierte Medizin“ ist in aller Munde. Die richtige Therapie
zum richtigen Zeitpunkt bei dem richtigen Patienten – so weit so gut?
D
och die oben genannte Definition
hat Schwächen: Personalisierte Me-
dizin sollte nicht nur auf die Behandlung
von Patienten fokussiert sein, auch die
Diagnosefindung und vor allem Präventi-
onsmaßnahmen verdienen es, viel mehr
maßgeschneidert zu sein als bisher üblich.
Und wenn es um den Inhalt der Persona-
lisierten Medizin geht, scheint es so viele
Meinungen wie Experten zu geben. So
existiert die (etwas tollkühne) Idee, allein
durch die zusätzliche Berücksichtigung
genetischer Marker die medizinische Ver-
sorgung zu verbessern. Andere argumen-
tieren, Medizin sei schon längst persona-
lisiert, auch ohne genetische und andere
Marker.
Tatsächlich gibt es bei vielen häufigen Er-
krankungen Patientengruppen, die eine
gute oder weniger gute Prognose haben,
von Medikamenten gut oder weniger gut
profitieren oder gar Nebenwirkungen er-
leiden. Auch ist bekannt, dass Präventi-
onsmaßnahmen wie Kampagnen gegen
das Rauchen, den übermäßigen Alkohol-
konsum oder die Fehlernährung bei vielen
Menschen erfolgreich sind, bei anderen
aber kaumWirkung zeigen. Ziel der Perso-
nalisierten Medizin ist es, Charakteristika
zu finden, die diese Gruppen unterschei-
den können, Charakteristika, die uns in die
Zukunft schauen lassen, um den Erfolg
einer Diagnostik, Therapie oder Präventi-
onsmaßnahme vorherzusagen – und zwar
maßgeschneidert.
Für diese prognostischen Faktoren wird
oft der Begriff „Biomarker“ verwendet.
Einstmals wurden mit Biomarkern Labor-
befunde gemeint. Heute geht der Begriff
viel weiter: Neben Laborparametern sind
Biomarker auch erfragte Patientencha-
rakteristika, der Blutdruck, Bildbefunde
– kurzum, alle Informationen, die einen
Patienten kennzeichnen und ihn einer be-
stimmten Subgruppe zuordnen lassen.
Aber es gibt auch Herausforderungen da-
bei. So zeigen herkömmliche statistische
Verfahren Schwächen im Umgang mit
derart komplexen Datensätzen. Innovati-
ve Data-Mining-Verfahren nutzen moder-
ne Rechentechnik, um diese Datenmassen
zu bewältigen. In einer ersten Anwendung
konnte ein Vorhersagemodell für zukünf-
tigen Bluthochdruck erstellt werden, das
Biomarker umfasste, welche in herkömm-
lichen Modellen bislang keine Verwen-
dung fanden. Das „Greifswalder“ Modell
hatte für die vorpommersche Bevölkerung
eine mindestens genauso gute Vorhersa-
gekraft wie das etablierte Framingham-
Modell; in der süddänischen Bevölkerung
funktionierte das SHIP-Modell sogar bes-
ser als das amerikanische.
ZumWeiterlesen:
Völzke H, Schmidt CO, Baumeister SE, Itter-
mann T, Fung G, Krafczyk-Korth J, Hoffmann W,
Schwab M, Meyer zu Schwabedissen HE, Dörr
M, Felix SB, Lieb W, Kroemer HK. Personalized
cardiovascular medicine: concepts and metho-
dological considerations. Nature Rev Cardiol
2013; 10: 308 - 313.
Völzke H, Fung G, Ittermann T, Yu S, Baumeister
SE, Dörr M, Lieb W, Völker U, Linneberg A, Jor-
gensen T, Felix SB, Rettig R, Rao B, Kroemer HK.
A new, accurate predictive model for incident
hypertension. J Hypertens 2013; 31: 2142 - 2150.
forschung & Lehre
schen Bereichen zu erlangen. Daten von
Patienten und SHIP-Probanden sind nun
gut vergleichbar. So schließt sich der Kreis
vom Individuum zur Bevölkerung.
Prof. Henry Völzke
Biomarker
Klinische Parameter
(z. B. Blutdruck)
Allgemeine Risikofaktoren
(z. B. Rauchen, falsche Ernährung)
Psychosoziale Faktoren
(z. B. Stress, Depression)
Metabolom
(Stoffwechselprodukte)
Proteom
(Eiweiße als Genprodukte )
Transkriptom
(Genabschriften)
Genom
(Erbgut des Menschen)
Um prognostische Biomarker zu erfor-
schen, bedarf es zunächst umfangreicher
Informationen. SHIP ist mittlerweile das
Projekt mit der umfangreichsten Datener-
hebung, die je in einer Bevölkerungsstich-
probe erhoben worden ist. Somit verfügt
die Universitätsmedizin Greifswald über
eine gute Voraussetzung dafür, die wich-
tigen Biomarker für ganz unterschiedliche
Erkrankungen zu identifizieren.
Eine weitere Hürde für die Personalisierte
Medizin ist die Übertragung solcher For-
schungsergebnisse in die klinische Praxis.
Oft sind die Erhebungsmethoden in Stu-
dien nur eingeschränkt mit denen in der
Klinik vergleichbar. Auch hier besitzt die
Universitätsmedizin Greifswald einen gro-
ßen Standortvorteil: Über GANI_MED ist
es gemeinsam gelungen, einen höheren
Grad an Standardisierung in einigen klini-
Eine ganze Biomarker-Palette kennzeichnet den Patienten.
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