27
UMG
live
4|2013
frohes fest!
Tage vor Weihnachten. Ich, ein junger Mann von vierzehn Jahren,
soll sich Spielsachen schenken lassen – lächerlich! Als dann aber
die Bescherung kam, da waren wirklich keine da! Die jüngeren
Geschwister hatten niedliche Windmühlen und Baukästen und
Hühnerhöfe; aber ich hatte nicht ein einziges Stück, sag ich euch!
Nur Kragen, Strümpfe, Halstücher und so etwas. Geweint hab ich
sehr, aber nur nach innen! Zwei oder drei bitterheiße Tropfen.
Nach außen hab ich den jungen Mann aufrechterhalten. Ein paar
Mal hab ich mich wohl vergessen und heimlich mit den Sachen
der anderen gespielt; aber – du lieber Himmel – mit vierzehn Jah-
ren ist man auch noch ein recht junger Mann. Als ein jüngerer
Bruder mich verspottete, weil ich mit seiner Windmühle spielte,
vermochte ich ihmmit Hoheit und einem großen Jungensbass zu
erwidern: „Du Dummbart, ich wollte nur mal sehen, wie sie ein-
gerichtet ist.“
Wenn eure Kinder mit vierzehn, sechzehn, achtzehn Jahren und
später noch spielen mögen, so stört sie nicht. Denn das sind
gewöhnlich die Menschen, die draußen in der ernsten Welt ihr
Werk angreifen mit froher Kinderkraft und die mit naivem Lächeln
bewältigen, was dem Pedanten unmöglich schien.
Ja, wenn ich nicht fürchten müsste, mich grenzenlos zu blamie-
ren, so würde ich irgendeinem verschwiegenen Freunde in aller
Heimlichkeit gestehen, dass mir bei den Weihnachtseinkäufen in
den Spielzeugläden oft ganz weich und kindisch ums Herz wird.
Meine Frau behauptet auch, dass ich immer teurere Dinge kauf-
te, als ich mir zu Hause vorgenommen hätte. Sie verschweigt
dabei allerdings, dass sie die geringere Ware so lange mitleidig
betrachtet und die bessere so lange reizend findet, bis ich mich
für das Reizende entscheide. Das muss ich ja zugeben: Die letzte
Entscheidung überlässt sie mir. Wenn ich also nicht Manns genug
bin, so trifft ja mich die Verantwortung.
Aber wenn ich Raubtiere sehe, die wirklich wie Tiere aussehen,
mit wirklichem Fell überzogen sind, und darunter einen Bären,
der wirklich diesen charakteristischen Bärenblick hat, diesen bon-
hommistischen Raubtierblick, diesen blutdürstigen Honigblick,
diesen politischen Pastorenblick, einen Bären, der noch dazu
nicht größer ist als der Elefant in derselben Schachtel, vielleicht
sogar etwas kleiner: Dann werd ich eben schwach, dann kann ich
nicht widerstehen.
[...] Und näher rückt die Zeit – „jetzt noch zehnmal schlafen“ ...
„jetzt noch neunmal“ ... Da kommen sie überall her auf weichen,
weißen Schwingen, die schönen Weihnachtslieder. Sind sie wirk-
lich alle so schön, oder ist es nur, weil bei jedem Ton eine ganze
vergangene Weihnacht heraufsteigt? Und dann tönt wieder die
liebliche Geschichte von dem Kindlein in der Krippe, von der Herr-
lichkeit, die sich auftat über den nächtlichen Hirten, und von dem
Stern, der über der Hütte von Bethlehem stand. Es war ein großer,
reiner, sanfter Stern. Seine Schönheit leuchtet allen Landen; aber
vor allem herrlich schaute er herab auf Germaniens weißstarren-
de Winterwälder, auf Deutschlands nebelrauchende Wiesen! Die
Kinder Germaniens lieben aus innerster Seele das Licht, das durch
schweigende Nebel dringt: das feuchte Silber der Wintermorgen-
sonne, der Elfen nächtlich wogende Schleier, durch die das stille
Auge des Mondes blickt. Wenn die Äste krachen unter der Last
des Eises und schweigender Schnee seine Schwelle längst schon
begrub, dann steht der Deutsche am dunklen Fenster und spricht
mit dem letzten roten Schimmer der sinkenden Wintersonne.
Dies ist ihm das rechte Neujahrsfest; es ist Wintersonnenwende.
Heute denkt er zurück, wen er zu sehr gehasst, wen er zu wenig
geliebt. Er sieht im müden, warmen Lichte der letzten Röte den
Nachbarn Fuhrmann nach Hause kommen, den Tannenbaum
unter dem Arm, dass die Spitze durch den Schnee schleift. Ein
Hündchen springt über den Weg und kehrt wieder ins Haus zu-
rück. Wer wollte denn heut nicht daheim sein? Weihnacht feiert
wohl selbst der Stein am Wege. Über allem ist ein lächelnder, un-
erschütterlicher Wille zum Frieden ausgebreitet. Und ganz am äu-
ßersten Rande des weiten Schneefelds sieht nun der Deutsche ein
niedriges Dach, und über der schneeverwehten Hütte entzündet
sich mehr und mehr ein Stern. Und ganz, ganz leise und ganz fein
– aber doch so klar – und so ruhevoll kommt es daher gezogen,
ein Lied, ach ein feines, wunderbares Lied:
„Es ist ein Reis entsprungen
aus einer Wurzel zart.
Wie uns die Alten sungen,
von Jesse kam die Art.
Und hat ein Blümlein bracht
mitten im kalten Winter,
wohl zu der halben Nacht.“
Das ist ein deutscher Sang. Denn das erquickt den Deutschen am
innigsten, wenn aus dem verschneiten Winterdunkel ein Schim-
mer dringt, wenn aus totenstillem Winternebel langsam die Son-
ne des kommenden Frühlings blüht.
Und wenn nun hinter ihm im Dunkel der geschmückt schon har-
rende Baum mit leisem Geräusch die Zweige dehnt – und wenn
die Kinder vor der Tür stehen und die schwellenden Wünsche in
ihren Herzen aufbrechen zu heißblühendem Verlangen – dann
ist das Wintersonnenmärchen auf seinem Gipfel, dann wirkt sie
ihren höchsten Zauber, die heilige Dichtung, die die Menschen
„Weihnacht“ nennen.
Es gibt nur noch wenige Dichtungen, die so schön sind. Eine heißt
„Entschwundene Kindheit“, eine andere „Der nächste Frühling“.
Weiß jemand noch eine?
Otto Ernst (1862 - 1920)
Gefunden auf:
1...,17,18,19,20,21,22,23,24,25,26 28,29,30,31,32